Warum brauchen wir Gewerkschaften?
Im politischen Kontext ermuntern wir BetriebsrätInnen, JugendvertrauensrätInnen und PersonalvertreterInnen, anderen politisch engagierte Menschen immer wieder die Frage nach dem Warum zu stellen. Wer sich in einer politischen Debatte nie die Frage nach dem Warum stellt, wird nur an der Oberfläche dahin argumentieren und auch dahin agieren. Warum ist eine Situation wie sie ist? Wer profitiert davon, dass sie so ist? Warum hat der Profiteur wenig Interesse, die Situation zu verändern? Und, und, und … all diese Fragen spielen in unserer politischen Arbeit eine ganz wichtige Rolle.
Wer allerdings die Frage nach dem Warum stellt, kommt auf den Grund des Problems. Da liegt aber auch schon das Problem mit der Warum-Frage in der Kommunikation. Eine Frage, die bei einem politischen Diskurs wichtig ist, entwickelt sich gerade im Mitgliederwerbegespräch zu einem Bumerang. Wenn wir auf die Frage: "Bist du schon Gewerkschaftsmitglied?", die Antwort bekommen "Nein", neigen wir zu der Frage "Warum nicht?"
Ich rufe mit der Frage eine Begründungskette des Noch-Nicht-Mitglieds ab, warum es nicht Mitglied ist. Und mit jedem Argument, dass dem Noch-Nicht-Mitglied einfällt, warum es nicht Mitglied ist, festigt sich der Standpunkt des Noch-Nicht-Mitglieds. In Wirklichkeit argumentiert hier das Noch-Nicht-Mitglied nicht nur seinen Standpunkt, sondern es wird hier das Verhalten des Noch-Nicht-Mitglieds, nämlich Nichtmitglied zu sein, erklärt. Aber wenn uns ein Mensch sein Verhalten erklärt, ist es für uns umso schwieriger, ihn darauf hinzuweisen, dass dieses Verhalten aus unserer Sicht eigentlich falsch ist, und dass wir es ändern wollen. Dies wird uns nur schwer gelingen.
Die Warum Frage führt uns zur Begründung, warum wer nicht Gewerkschaftsmitglied ist. Das sind aber Antworten, die uns das Werbegespräch erschweren.
Wir brauchen aber statt Gründe für die Nicht-Mitgliedschaft, Vorschläge für die Mitgliedschaft. Das heißt, statt zu fragen "Was stört dich am ÖGB?" wäre es doch die viel sinnvoller lösungsorientiertere Frage zu stellen:
"Okay, stelle dir einmal vor, du wärst ÖGB PräsidentIn / Vorsitzende(r) deiner Gewerkschaft / Betriebsratvorsitzende(r) / PersonalvertreterIn / Jugendvertrauensrat bzw. -rätin, was würdest du ändern?" Auch wenn das Noch-Nicht-Mitglied hier vielleicht Widerstand auf Grund der Fragestellung versucht, bleiben wir drauf, "Was würdest du konkret ändern?" Und all das, was vorher als Vorwurf kam, wie zum Beispiel "Ihr seid viel zu männlich orientiert", "Ihr seid viel zu angepasst am sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs", "Ihr seid in eurer Aktivität viel zu feige" etc., etc., kommt zwar jetzt auch, aber nicht mehr als Kritik, nicht mehr als Grund für eine Nicht-Mitgliedschaft, sondern es kommt jetzt als Lösungsvorschlag.
Wer vorher behauptet hat, "Ihr seid viel zu angepasst am sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs.", behauptet jetzt, "Ich wünsche mir kämpferische Gewerkschaften."
Wer vorher behauptet hat, wir sind sehr männlich, sagt jetzt "Ich würde, wenn ich etwas zu reden hätte, Maßnahmen ergreifen, damit mehr Frauen sich aktiv an der Gewerkschaftsarbeit beteiligen.
Wer vorher gesagt hat, "Ihr seid in eurer Aktivität viel zu feige", sagt jetzt: "Mutiger müssten wir sein!"
Ihr seht an diesen Beispielen, dass aus Kritik und Gründen für die Nicht-Mitgliedschaft Lösungsvorschläge präsentiert werden. Es liegt auf der Hand, dass es einfacher ist eine Person zu werben, die sagt "Ich wäre ja dabei, wenn..." als jemand zu werben, der sagt "Ich bin nicht dabei, weil ...".
Nachdem wir gehört haben, was so die Vorschläge für eine Mitgliedschaft bei der Österreichischen Gewerkschaftsbewegung sind und welcher Reformen und Veränderungen es hier bedarf, halten wir uns ein zweites Mal zurück, um nicht in die Falle zu tappen jetzt wieder zu argumentieren, sondern wir fragen hier gekonnt nach: "Was würde das bedeuten?" oder "Welche konkrete Schritte würdest du dann einleiten?" Mit jeder Frage identifiziert sich unser Noch-Nicht-Mitglied mit seiner Mitgliedschaft und mit der Möglichkeit hier gestaltend bzw. verbessernd zu wirken.
Wir erhalten mit dieser Methode tiefe Einblicke auf die Landkarte unseres Noch-Nicht-Mitglieds, aber immer lösungsorientiert statt problemzentriert. Wir wissen, dass diese Form des Mitgliederwerbegesprächs eine neue Herausforderung für dich darstellt. Du wirst wahrscheinlich früher auch immer nach dem "Warum" gefragt haben.
Lass dir von keinem Fachmann imponieren, der dir erzählt: "Das mache ich schon seit zwanzig Jahren so!"
Man kann eine Sache auch zwanzig Jahre lang falsch machen.
Kurt Tucholsky
Neben dem Gefühl existiert der Verstand, die Ratio. Beides hat Einfluss auf unsere Entscheidungen. Um das Gefühl zu bedienen ist es zu wenig, nur Sympathie zu erzeugen - der Verstand muss mit Argumenten gefüttert werden. Schließt die Augen und stellt euch folgende Frage: "Warum bin ich Mitglied der Gewerkschaftsbewegung?"
Unter Umständen können wir ad hoc all die rationellen Gründe gar nicht mehr aufzählen, da es für uns inzwischen eine Selbstverständlichkeit - eine Überzeugung geworden ist, Mitglied zu sein. Und dies, obwohl wir uns selbst irgendwann auch einmal die Fragen nach der Mitgliedschaft gestellt haben. Es gilt, uns die rationellen Argumente wieder in Erinnerung zu rufen.
Wenn du jetzt auf die 10 besten Argumente zur Mitgliederwerbung wartest, wartest du vergeblich. Es gibt kein Ranking, das Nummer eins Argument, das Nummer zwei Argument und das Nummer drei Argument. Es gibt sie nicht, die goldene Regel, wie hier argumentiert werden soll. Wir haben im Rahmen einer Mitgliederwerbeaktion BetriebsrätInnen aus ganz Österreich aufgerufen uns ihre Lieblingsargumente zu senden. Du findest sie bei "Mehr Infos" unter "Die besten Argumente".
Welches dieser Argumente du jetzt einsetzt, obliegt nicht nur deiner Persönlichkeit,sondern ist vor allem eine Frage deiner Gesprächspartnerin und deines Gesprächspartners.